2015 waren wir als ganze Familie für drei Monate im Sabbatical. Mit einem Wohnwagen sind wir durch Europa getourt. Unsere Kids, damals in den Klassen 2, 4 und 5 wurden vom Unterricht dispensiert. Meine Frau ist schliesslich Lehrerin. „Wir schaffen das locker“, war das Grundmantra. Die Realität schlug in aller Härte zu. Schule auf dem Zeltplatz, das Abarbeiten der Vorgaben der Lehrpersonen, das Aufarbeiten des verpassten Schulstoffes entwickelte sich vom Kleinkrieg bis hin zur völligen Zerstörung der Familien-Harmonie. Die Ankündigung des Bundesrates, alle Schulen bis Mitte April zu schliessen, hat uns mit gemischten Gefühlen hinterlassen. Die Kids waren euphorisiert, die Eltern im Panikmodus. Nach der Schockstarre liessen uns die Erfahrungen aus dem Zeltplatz-Schul-Versuch eine konkrete Strategie einschlagen.

Die Anzahl Jahre in der Schule entsprechen der Anzahl Monate, die wir zur Anpassung an ein neues Setting benötigen. Diese Regel hätte uns im Sabbatical viel Frust erspart. Sie besagt, dass ein Kind genauso viele Monate Anpassungszeit braucht, wie er oder sie bis jetzt an Jahren in der Regelschule war. Unsere Tochter, die damals in der vierten Klasse war, hätte vier Monate gebraucht, bis sie uns nicht nur als Eltern, sondern auch als Lehrperson akzeptiert hätte. Die Umstellung, dass wir in einer ungewohnten Rolle Aufgaben einfordern, Lerninhalte überprüfen und Disziplin verlangen, braucht Zeit. Der Rollenkonflikt, das neue Umfeld, die erhofften und doch nicht erfüllten Freiheiten, die Unlust am Unterricht führen beidseitig zu einer Überforderung und damit zu Reibungen. Unser Learning tönt banal: Zuerst ein Rhythmus entwickeln, dann erst Schulstoff einfordern.

Diese Woche ist das Internat Eichenberger gestartet. Wir haben am Sonntag unsere Tagesstruktur besprochen. Zwischen 8 und 9 Uhr gibt es Frühstück. Spätestens um 8:30 Uhr sitzen wir angezogen am Frühstückstisch. Von 9 bis 11 Uhr folgt der erste Schulblock, mit 10 Minuten grosser Pause. Von 11 bis 12 Uhr ist freie Bildschirmzeit: iPad, Switch, Kindle. Mittagspause ist von 12 bis 13:30 Uhr. Mit einer Stunde Sport, Musik oder Lesen beginnen wir den Nachmittag. Ab 14:30 Uhr ist eine Segenszeit geplant. Wir suchen nach Möglichkeiten, für jemand anderen etwas Gutes zu tun: Senioren anrufen, eine Karte schreiben, Medikamente und Lebensmittel einkaufen. Eine weitere Stunde Schule ab 15:30 Uhr schliesst den Nachmittag ab. Ab 17 Uhr folgt eine zweite Bildschirmzeit, in der die Switch auf Hochtouren läuft und unser Internet zusammenbricht. Nach dem Abendessen treffen wir uns um 19:30 Uhr vor dem Fernseher für einen Film oder ein paar Episoden der Familien-Soap.

Wir sind enorm dankbar, dass der Regierungsrat des Kantons die Schulen zurückgebunden hat. Am Wochenende liefen Lehrpersonen und Schulleitung im Hyper-Antrieb. Stündlich wurden wir mit neuen Infos und Unterrichtsaufträgen eingedeckt. In Lichtgeschwindigkeit fuhr unser Familienschiff auf Kollisionskurs zum Planeten Schulpflicht. Am Montag kam dann die Erlösung: Wir sind nicht verpflichtet, die Kinder zu beschulen, Aufträge zu kontrollieren, Schulstoff zu vermitteln, Fristen einzuhalten. Wir werden uns in den nächsten Wochen darauf konzentrieren, den erarbeiteten Rhythmus einzuüben. Dies erledigen wir mit aller Konsequenz und mit Inhalten, die den Kindern Lust und Freude bereiten. Sie definieren für sich selber bis zu drei Projekte, denen sie in der Schulzeit nachgehen werden: Das Zehnfingersystem erlernen (https://www.tipp10.com/de/), mit Unity und Scratch programmieren (https://www.udemy.com), den Gemüsegarten neu gestalten, SFR MySchool ausreizen, koreanisch lernen. Neben den üblichen Grabenkämpfen funktioniert dies bis jetzt optimal: Die Eltern sind happy, die Kinder leben, das Haus steht, der Garten blüht auf. Und falls die Schule dann doch auf die Idee kommt, uns als Lehrpersonen einzuspannen, sind wir hoffentlich vorbereitet.