Es ist faszinierend und interessant zugleich, dass ein Folterinstrument der Römer zum Mittelpunkt unseres Glaubens geworden ist: das Kreuz. An diesem Kreuz ist Jesus Christus – Gott und Mensch zugleich – gestorben und nach drei Tagen wieder auferstanden. Dieses Wochenende habe ich anhand der Opfer im Alten Testament versucht aufzuzeigen, was das Opfer von Jesus am Kreuz für uns als Christen bedeutet. Ich kam für mich auf drei Ebenen: es bedeutet Versorgung, Dankbarkeit und Anbetung, Gemeinschaft mit Gott und Gemeinschaft untereinander. Das Kreuz wird so zum Mittelpunkt eines erfüllten und glücklichen Lebens. Fantastisch, was Jesus für mich am Kreuz erschaffen hat. Diese Gedanken passen auch sehr gut in unser Lebensgefühl: Jesus und das Kreuz sind der Heilsbringer zu einem erfüllten, glücklichen, beschwerdefreien Leben! Falsch sind meine Rückschlüsse nicht – doch – so durfte ich das heute feststellen, nur eine Seite. Die andere Seite ist die schreckliche Seite des Kreuzes: Das Blut, das Leiden, die Folter, die Schmerzen, die Schmach, die Schande, das Ausgestelltsein, der Tod. Mich mit Jesus und seinem Kreuz zu indentifizieren, bedeutet also beides: Das erfüllte Leben und gleichzeitig das Leid.
Unsere westliche Kultur ist Leid-Fremd. Wir tun alles, um Leiden zu vermeiden. Wir forschen, wir leisten uns teure Medizin, essen gesund. Und manchmal zieht unsere Theologie da gleich: Jesus hat für dich gelitten, damit du nicht mehr leiden musst. Ein Leid-freies Leben wird so plötzlich zum Ideal eines erfüllten Christ-seins. Ein netter Gedanken – trotzdem falsch!
Jesus-Nachfolge stellt das Kreuz in den Mittelpunkt. Sein Gehorsam und Seine Hingabe für mich lassen mich erkennen, dass mein Leben nun ihm gehört. Meine Antwort auf seine Liebe zu mir ist meine Liebe zu ihm, die sich in Hingabe und Gehorsam ausdrückt. Persönliche Gaben, Vorlieben und Wohlbefinden rücken in den Hintergrund, Gehorsam und Aufgabe in den Vordergrund. Wenn ich nicht bereit bin, in einem Leben der Nachfolge auch Leid und Verzicht zu erdulden, so tauge ich nicht für sein Reich! Manchmal denke ich, dass all unsere christlichen Selbst-Findungsprogramme und Gabenkurse uns in eine Sackgasse geführt haben: Mein Auftrag ist das zu tun, was ich gut kann und mir Spass macht. Blödsinn! Mein Auftrag ist das zu tun, was er mir aufträgt, ob sich das nun gut anfühlt oder zu meinem Wohlbefinden beiträgt.
Ich glaube, es ist Zeit, die Theologie des Leidens wieder neu zu entdecken. Ein Anfang war für mich heute morgen ein Artikel (http://bit.ly/aQlGpx) von Ajith Fernando, Leiter von Campus für Christus in Sri Lanka. Leider ist der Text nur auf Englisch. Für mich nicht nur ein Weckruf in den Tag, sondern auch in eine berechtigte Kritik an unserer Theologie im Westen, die oft nur die bessere Hälfte des Kreuzes zu betonen scheint.
Meine Predigt am Wochenende war nicht falsch. Im Gegenteil – ich habe das Gefühl, dass es richtig war, diese Seite des Opfers und des Kreuzes zu betonen. Gleichzeit wünsche ich mir, dass auch die andere Seite des Kreuzes für uns wieder wichtig wird. Denn wenn mein Christsein zu stark auf mich und mein Wohlbefinden ausgerichtet ist, werde ich nicht ihm, sondern mir selber nachfolgen. Ich werde nicht seinen Auftrag erfüllen, sondern nur meine Wünsche erfüllen. Ich werde nicht ihm dienen, sondern ihn zu meinen Diener machen.